Reform von Hartz IV
Raus aus dem Dilemma – Warum ein Einfaches “Hartz IV muss weg” nicht reicht
Unser Problem
“Hartz IV” gilt als Symbol für gesellschaftlichen Abstieg und dauerhafte Armut. Sogenannte „Hartz IV-Karrieren“ werden von den Eltern an die Kinder vererbt, was zur Verfestigung der Armut in ganzen Familien und zu sogenannten “Hartz-IV-Karrieren“ führt. Für viele ALG II-Bezieher*innen gibt es kaum einen Ausweg aus dieser Leistungsbeziehung; die Wahrscheinlichkeit wieder einer regulären Beschäftigung nachzugehen sinkt mit jedem Jahr der Leistungsbeziehung. Unbestritten ist, dass die SPD durch diese Arbeitsmarktreformen massiv an Vertrauen in der Gesellschaft verloren hat und bis heute darunter leidet. Viele Menschen haben mittlerweile Angst vor der Arbeitslosigkeit und den entsprechenden Maßnahmen, wie z. B. ein evtl. Wohnungsverlust, Einschränkung des Lebensstandards und Verlust der Intimität gegenüber dem Staat und seinen Behörden.
Diese Resolution soll einen Beitrag zur aktuellen Debatte in der SPD über das “vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, kurz: Hartz IV, leisten. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und soll die innerparteiliche Debatte nicht abschließen, sondern ergänzen.
Hartz IV
Mit “Hartz IV” wurden ab Januar 2005 unter anderem die Sozial- und Arbeitslosenhilfe zusammengelegt. Mit diesem Schritt hatten viele Sozialhilfeempfänger*innen wieder einen rechtlichen Anspruch auf Arbeitsvermittlung und entsprechender Förderung. Ihnen sollte über diese Aktivierungsmaßnahmen eine neue Perspektive geboten und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht werden. Durch die Zusammenlegung der beiden Transferleistungen wurden viele Sozialhilfeempfänger*innen mit in die Arbeitslosenstatistik aufgenommen, was zu einer ehrlicheren Statistik zur Arbeitslosigkeit in Deutschland führte. Dadurch ergab sich ein sprunghafter Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf über fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland. Beide Maßnahmen können als positive Effekte von “Hartz IV” betrachtet werden.
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass das Niveau des Arbeitslosengeldes an das Niveau der früheren Sozialhilfe angepasst wurde. Damals orientierte sich die Arbeitslosenhilfe prozentual an dem vorherigen Erwerbseinkommen. Mittlerweile werden durch das Arbeitslosengeld II Pauschalbeträge an die Hilfeempfänger*innen ausgezahlt.
Der sogenannte Warenkorb zur Berechnung der Leistungen wurde in vielen Bereichen nach unten angepasst. hat kaum eine Chance auf eine reguläre Beschäftigung. Weiter wurde die Bezugsdauer des heutigen Arbeitslosengeldes I von 32 Monate auf 12 Monate reduziert.
Mit dem “Hartz-IV-Gesetz“ wurde ebenfalls die sogenannte “Option” eingeführt. Generell werden das ALG I und das ALG II von der Agentur für Arbeit verwaltet. Allerdings hatten mit der Einführung der Hartz-Gesetze 69 (unnötig zu erwähnen, dass diese Zahl willkürlich an der Anzahl der Sitze im Bundesrat orientiert ist) Kommunen die Möglichkeit sich als Optionskommune zu bewerben um die Leistungen des ALGs II selbstständig zu verwalten und die Arbeitsvermittlung vor Ort zu gestalten.
Was sich ändern muss:
- Unser Anspruch muss es sein, den Menschen die Angst vor der Arbeitslosigkeit zu nehmen. Das Arbeitslosengeld muss wieder als Überbrückung von schwierigen Lebenssituationen begriffen werden und darf nicht zu einer zusätzlichen Belastung, in einer sowieso schon schwierigen Lebenslage, werden. Darüber hinaus muss es uns um eine vernünftige und zielführende Arbeitsvermittlung gehen; hier darf ausschließlich nach fachlicher Qualifikation und vorheriger Tätigkeit entschieden werden. Dafür müssen die Zumutbarkeitsregeln im SGB II § 10 entsprechend geändert werden.
- In der Regel gelingt es rund 7 % der ALG-I-Bezieher*innen im ersten Jahr nicht eine neue Beschäftigung zu finden. Nach einem Jahr erlischt der Anspruch auf ALG I und es muss ALG II bezogen werden. Dies erhöht den Druck und die Angst auf die Arbeitssuchenden. Um Arbeitssuchende von dieser Last zu befreien, muss die Bezugsdauer des ALGs I auf 24 Monate und für ältere Leistungsbezieher*innen auf 30 Monate angehoben werden.
- Weiterhin fordern wir, dass Zeiträume, in denen Umschulungs- und Ausbildungsmaßnahmen stattfinden, an die Bezugsdauer des ALG I verlängert wird.
- Nicht nur die Arbeitssuchenden selber leiden unter ihrer Situation. Häufig sind auch ihre Familien davon betroffen. Um die Familien in dieser Situation zu entlasten, d darf das Kindergeld nicht mehr auf die Arbeitslosenleistung angerechnet werden.
- Wir sehen die Menschen als soziale Wesen an. Jeder Mensch muss das Recht haben, primär In den ersten Arbeitsmarkt integriert zu werden, denn Arbeit schafft soziale Einbindung. Das Herauslösen des Menschen aus seinem bisherigen sozialen (e.g. familiären oder freundschaftlichen) Umfeld ist jedoch keine Tatsache, die wir hinnehmen können. Das private Soziale und das Beschäftigungssoziale müssen gleichberechtigt einhergehen.
- Bisher ist nur für wenige Menschen nachvollziehbar, wie ein Wohnungswechsel bei der Überbrückung der Arbeitslosigkeit helfen soll. Der § 22 SGB II muss dahingehend geändert werden, dass Leistungsempfänger*innen nicht mehr zu einem Wohnungswechsel gezwungen werden können.
- Sollten Arbeitssuchende jedoch freiwillig einen Umzug in Erwägung ziehen, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, sollte das Jobcenter dies finanziell unterstützen. Mieter*innen, die durch das Jobcenter betreut werden, müssen besser vor ungerechten Erhöhungen der Nebenkosten geschützt werden. Einen möglichen Orientierungspunkt bietet dabei die Stadt Essen: Es erfolgt die Kostenübernahme einer Mitgliedschaft in der Mietergemeinschaft, damit Betroffene gegen zu hohe Abrechnungen vorgehen können.
- § 12 des SGBs II, der das anzurechnende Vermögen vorgibt, muss gestrichen werden.
- Entsprechen unseres Menschenbilds, dem Menschen als sozialem Wesen, gehen wir davon aus, dass Menschen in Beschäftigung gelangen wollen. Wir sehen den Arbeitsmarkt in seiner heutigen Form, mit garantiertem Mindestlohn und vielen freien Stellen, als wichtigen Ansatzpunkt in dieser Aufgabe. Arbeitgeber*innen müssen stärker für sich werben, um an das geeignete Fachpersonal zukommen.
- Wir wollen langfristig ein potentes Weiterbildungs- und Arbeitsvermittlungssystem entwickeln, dass den Arbeitssuchenden die Möglichkeit gibt, Arbeit entsprechend ihrer Qualifikationen zu finden oder ihre bisherigen Qualifikationen auszubauen. Wir sind uns bewusst, dass Extremfälle gibt, in denen die allgemeinen Weiterbildungs- und Vermittlungsmaßnahmen nicht greifen.
- Anfang 2019 will das Bundesverfassungsgericht über die Zulässigkeit von Sanktionen entscheiden. Danach sollte auch eine Diskussion bei uns über die Sanktionen im SGB II geführt werden.
- Wir empfinden die Anrechnung des Lohns aus Taschengeldarbeiten gleichauf als Zumutung und als Form der Sanktionierung. Wenn Leistungsbezieher*innen und ihre Kinder sich dazu entscheiden, die ihnen zustehenden Leistungen aufzubessern, darf dies nicht bestraft werden.
- Wir bezweifeln, dass die Grenzen der Anrechnung von Nebenjobs an die Regelungen des Sozialgesetzbuches noch zeitgemäß sind. Deshalb fordern wir eine entsprechende flexible Anpassung, die sich an der Höhe des Nebendienstes orientiert.
- Das Ehrenamt nimmt eine wichtige Funktion in der sozialen Einbindung von Menschen in der Gesellschaft ein. Wir fordern darum, dass Arbeitssuchende von Sanktionen befreit werden, die eintreten würden, während sie diesem Ehrenamt nachgehen.
- Die Regelsätze im SGB II müssen deutlich erhöht und der Warenkorb gründlich überarbeitet werden. Aktuell werden bei einem Regelsatz von 416 € ca. 145 € für Nahrung veranschlagt. Für Bildung blieben bei diesem Regelsatz etwas mehr als 1 €. Für Bekleidung bleiben rund 36 € und für Haushaltsgeräte etc. bleiben rund 26 €.
- In Deutschland gilt eine alleinstehende Person mit einem Einkommen von 781 € als arm. Es muss also darüber nachgedacht werden, den Regelsatz auf 800 € anzuheben.
- Die Regelsätze müssen jährlich an die Inflation angepasst werden
- Kinder sind im Wachstum und in ihrer Entwicklung einem stetigen Wandel ausgesetzt. Dies bedingt eine ausreichende und ausgewogene Ernährung, aber auch den häufigen Neukauf von Kleidung. Deshalb muss das Ziel der Überarbeitung des Warenkorbs auch sein, eine allgemeine Kindergrundsicherung zu herauszuarbeiten
- Optionskommunen sind besonders oft strukturschwachen Regionen, grade in den neuen Bundesländern. Tendenziell zeigt sich auch, dass diese Kommunen tendenziell deutlich geringere Steuereinnahmen haben. Die Ausgaben für die Sozialsicherung behindern somit langfristige Investitionen in die Zukunft, die die Strukturen stärken könnten. Alternativ besteht die bereits erwähnte Gefahr der Kostenminimierung in der Grundsicherung. Beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden
- Die Option stellt keine vernünftige Lösung für die Leistungsempfänger*innen dar. Es besteht die Gefahr, dass die Kosten für Heizung- und Unterkunft zur Haushaltssanierung des kommunalen Haushaltes gekürzt werden. Darüber hinaus ist es für die Kommunen schwierig die Lage auf dem überregionalen Arbeitsmarkt zu überblicken und eine vernünftige Arbeitsvermittlung zu gewährleisten.
- Um die Jobcenter zu entlasten und den Leistungsempfänger*innen eine bessere Bearbeitung ihrer Anliegen zu ermöglichen, fordern wird, dass die Zahl der Mitarbeiter*innen deutlich erhöht wird.
- Es bedarf einer Kommission, die sich mit der Entbürokratisierung im Jobcenter beschäftigt. Kernpunkte müssen dabei die Möglichkeiten sein, die sich durch die steigende Digitalisierung ergeben, sowie die Vereinfachung der entsprechenden Rechtsinhalte. Neben entsprechenden Fachleuten möchten wir den Mitarbeiter*innen der Jobcenter die Möglichkeit geben, sich am Entbürokratisierungsprozess zu beteiligen
- Wir bekennen uns zur Reform der bisherigen Grundsicherung, um möglichst viele Menschen in eine sinnstiftende Beschäftigung entsprechender ihre Qualifikationen zu bringen.“
Antragsteller: JUSOS Duisburg
Adressat: UB Parteitag
Überwiesen an: Kommission Erneuerung – Ist in Bearbeitung