Koloniales Erbe aufklären, Raubgut restituieren
Der UB Parteitag möge beschließen:
Der Unterbezirk Duisburg fordert eine politische Aufarbeitung der deutschen kolonialen Vergangenheit auf gesamtgesellschaftlicher und diplomatischer Ebene.
Wir fordern die Etablierung einer/s Bundesbeauftragt*en für die Aufarbeitung und Koordinierung der deutschen Kolonialgeschichte sowie der Restitution von Kulturgütern, die zu Unrecht in den Besitz der Bundesrepublik, der Bundesländer, Kommunen und anderen öffentlich-rechtlichen Trägern gekommen sind.
Unter diesen Kulturgütern verstehen wir Raubgut, sowie Ankäufe aus dem Kunsthandel, deren Provenienz (Herkunft) aus kolonialen Herrschaftsverhältnissen stammt, unabhängig davon, ob es sich um eine ehemalige deutsche Kolonie oder dem Kolonialgebiet einer anderen Nation handelt.
- Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte hat das Ziel der Sensibilisierung und Vergegenwärtigung dieser Zeitepoche sowie des begangenen Unrechts der breiten Öffentlichkeit durch die gezielte Förderung und Koordinierung durch Ausstellungen, Aktionen, Publikationen und Projekten aus Wissenschaft, Kunst, Kultur, Medien, sowie Einrichtungen und Vereinen politischer und gesellschaftlicher Bildung.
- Wir fordern zielführende Verhandlungen über Entschädigungszahlungen mit den
Würdenträger*innen der Herero und Nama in Namibia.
- Die Förderung und Vertiefung des transnationalen Dialogs zwischen Deutschland und Würdenträgern in ehemaligen Kolonien, und den Nachfahren der einst unterdrückten, ausgebeuteten und beraubten Menschen.
- Schaffung einer Bundesstelle, die Restitutionsanfragen von Kulturgut aus ehemaligen Kolonialgebieten zentral entgegennimmt, bündelt und koordiniert.
- Sicherstellung von diplomatischer Begleitung bei der Restitution von Kulturgütern.
- Förderung von unbefristeten wissenschaftlichen Planstellen für die Provenienz-Ermittlung von Kulturgut, bei dem es sich potentiell um Raubgut bzw. Handelsgut aus kolonialen Herrschaftsverhältnissen handelt.
Im Zentrum der Aufarbeitung deutscher Kolonialgeschichte und der Restitution von außereuropäischen Kulturgut stehen die Bedürfnisse der Menschen nach Aufklärung, Anerkennung, Wiedergutmachung und Rückführung von Kulturgut in den betroffenen Gebieten Asiens, Afrikas, der Südsee, Australiens, Süd-, Mittel- und Nordamerikas.
Bei Rückgaben von Kulturgut sind unterschiedliche Vereinbarungen denkbar, wie komplette Restitution, Tausch, finanzielle Kompensation und andere Formen von Anerkennungsleistungen, die den moralischen Bedürfnissen des jeweiligen Verhandlungspartners in den betroffenen Regionen entsprechen müssen.
Nicht zugelassen werden darf eine Form des moralischen „Ablasshandels“ in Bezug auf die Hoffnung eines eigenen Vorteils der Restitution, sei es in wirtschaftlicher, politischer oder ethischer/ moralischer Hinsicht.
Begründung
Die deutsche Kolonialgeschichte ist ein über Jahrzehnte in der deutschen Öffentlichkeit verdrängtes Thema. Zwar ist allgemein bekannt, dass Deutschland zwischen 1880 und 1918 Kolonien besaß, die damit verbundenen Verbrechen und verheerenden Auswirkungen bis heute sah man eher Erbe Großbritanniens, Frankreichs, Spaniens, Portugals, der Niederlande und Belgiens an.
Die Kolonien Togo, Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Neuguinea sowie Besitzungen in China und Mikronesien wurden den Deutschen nach 1918 abgenommen, die vor Ort begangenen Verbrechen der Besatzer schlugen bis heute unverheilte Wunden.
Die Debatte kam mit der berühmt gewordenen Rede Emmanuel Macrons in der Universität von Ougadougou in Burkina Faso im November 2017 ins Rollen. Er versprach einen Dialog auf Augenhöhe zwischen Europa und Afrika, eine umfassende Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und die Rückgabe von gestohlenem Kulturgut. Bekannt und diskutiert werden diese Themen seit den 1960er Jahren, aber Macrons Rede von Ougadougou war ein Eisbrecher.
Seitdem wird in der westlichen Welt intensiv über koloniale Denkmäler, Straßennamen, den Völkermord der deutschen Kolonialmacht an den Herero und Nama im heutigen Namibia, alltäglichen und strukturellen Rassismus usw. diskutiert.
Der Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama wird inzwischen von der Bundesregierung als Genozid bezeichnet, Verhandlungen zu eingeklagten Reparationszahlungen stocken dennoch. Die laufenden Gespräche werden von den betroffenen Völkergruppen als schleppend und unwürdig empfunden.
Restitution, also die Rückgabe von gestohlener Kunst, Kult- und Alltagsobjekten, kommt bei der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte eine Schlüsselrolle zu.
Dazu folgende Hintergrundinformationen:
Handel mit Kunsthandwerk aus Asien, Afrika und dem Vorderen Orient gibt es in Europa seit dem Mittelalter. Ein wahrer Boom des Handels mit „exotischer Kunst“ setzte ab dem 16. Jahrhundert ein. Zentren des Kunsthandels waren die ehemaligen deutschen Reichsstädte wie z. B. Nürnberg oder Köln. Einer der bedeutendsten Umschlagplätze des Kunsthandels wurde Antwerpen. Das Fälscher Handwerk begann zu blühen und ist bis heute ein lohnendes Geschäftsmodell. Ein großer Teil dieser Objekte stammt aus „Geschäften auf Augenhöhe“.
In deutschen Museen und Sammlungen finden sich Objekte aus aller Welt, nicht nur aus den ehemaligen deutschen Kolonien. Kunst, Kultgegenstände, Schmuck, wertvolle Keramiken usw. wurden, insbesondere im Laufe des 19. Jahrhunderts, von deutschen Abenteurern, Siedlern und Händlern vor Ort entwendet oder zu Spottpreisen vor Ort gekauft und nach Deutschland gebracht. Provenienz, also die Umstände, unter denen diese nach Deutschland gekommen sind, lässt sich vielfach nicht mehr rekonstruieren. In der Regel fehlt aber das Geld für diese „Provenienz Forschung“. Auf Provenienz spezialisierte Wissenschaftler*innen werden in der Regel befristet projektbezogen angestellt und nicht wenige verlassen ihr Fachgebiet zu Gunsten einer unbefristeten, sozialversicherten Tätigkeit in einem anderen Bereich.
In deutschen Museen und Sammlungen fehlen häufig auch Inventare der meistens sehr umfangreichen Magazinbestände. Auch hier fehlt das Geld für diese grundlegenden Aufgaben.
In den letzten Jahren prominent wurde die Debatte um die sog. Benin-Bronzen. Die ehemalige Handelsmetropole Benin im heutigen Nigeria wurde 1897 von britischen Soldaten dem Erdboden gleichgemacht. Die Stadt verschwand, in der Literatur ist von etwa 100 000 Toten die Rede, fast alle schwarz. Die wertvollen Bronzen wurden geraubt, in alle Welt verschifft und verkauft. Sie erzielen bis heute hohe Preise auf dem Kunstmarkt. Im Laufe der anhaltenden Debatten rund um die Bronzen haben renommierte Auktionshäuser, wie Sotheby`s oder Christie`s, ihre Complience-Regeln angepasst. Raubgut soll keinen Platz auf dem Kunstmarkt haben, so die Idee.
Nigeria bemüht sich um eine Rückführung und hat für diese Objekte ein eigenes Museum errichten lassen. Die Verantwortlichen des sich in Fertigstellung befindlichen Humboldt-Forums in Berlin, die über mehrere Benin-Bronzen verfügen, sperrten sich jahrelang. Ende März wurde bekannt gegeben, dass eine Rückgabe vorbereitet wird.
Allen Beteiligten ist dabei klar, dass es sich hierbei nur um den Anfang handeln kann.
Dieser Antrag soll nicht nur als Signal verstanden werden, sondern bei den politisch Verantwortlichen auch zum politischen Handeln führen, damit dieser dunkle Punkt unserer Geschichte aufgearbeitet und zu einer dauerhaften Versöhnung unserer Völker führen kann.
Antragsteller: UBV
Adressat: SPD Bundestagsfraktion
Beschlussüberprüfung: